Elektronische Infektionsüberwachung für Subsahara-Afrika

Im Projekt ESIDA entwickelt ein interdisziplinäres Forschungsteam ein elektronisches Gesundheitsinformations- und Überwachungssystem, um Infektionsgeschehnisse in Subsahara-Afrika frühzeitig zu erkennen und die unkontrollierte Verbreitung von Krankheiten einzudämmen.

Arzt mit einem Patienten

Die digitale Datenerfassung ermöglicht einen Informationsaustausch in Echtzeit.

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Durch das verstärkte Vordringen des Menschen in die Natur und den fortschreitenden Klimawandel vergrößern und vermehren sich Risikogebiete für Infektionskrankheiten. Zudem können sich Krankheiten durch die globale Mobilität schneller ausbreiten. Wie gefährlich Krankheitsausbrüche sein können, wenn sie nicht frühzeitig erkannt werden, macht die Covid-19-Pandemie deutlich.

Gesundheitsexpertinnen und -experten und Politikverantwortliche müssen also schnell und gemeinsam handeln, um Infektionskrankheiten gezielt einzudämmen. Dafür benötigen sie kurzfristig gebündelte Informationen über Ursprünge, Merkmale und Dynamiken der jeweiligen Infektionskrankheit. Digitale Kommunikationswege bieten dabei großes Potenzial: Über sie können Informationen schnell erfasst und in Echtzeit übermittelt werden. Darauf aufbauend können die Verantwortlichen umgehend geeignete Maßnahmen einleiten.

Robuste Systeme zur elektronischen Erfassung und Überwachung von Krankheitsgeschehnissen sind insbesondere in Entwicklungsländern nur unzureichend ausgebaut, sodass sich Infektionen oft unbemerkt verbreiten. Um das zu ändern, entwickelt das interdisziplinäre Forscherteam des Projekts ESIDA (Epidemiological Surveillance for Infectious Diseases in Sub-Saharan Africa) – beispielhaft für die Subsahara-Region – ein elektronisches Gesundheitsinformations- und Überwachungssystem. Die gesammelten Informationen über das Infektionsgeschehen, ihre Symptomatik und die Ursachen sollen das medizinische Personal dabei unterstützen, genaue Diagnosen zu stellen, um Patientinnen und Patienten gezielt zu versorgen und so einen flächendeckenden Infektionsausbruch zu verhindern.

In zwei Ansätzen Informationen sammeln und bündeln

Für die gemeinsame Datennutzung untersucht das ESIDA-Team zunächst die Infrastruktur der Region. Informationen über die Stromversorgung, die Netzabdeckung oder die Nutzung von Mobiltelefonen sollen Aufschluss darüber geben, wie Erkenntnisse über Krankheitsausbrüche auch in schwer erreichbaren und gesundheitlich unzureichend versorgten Gebieten am besten gesammelt und übermittelt werden können. Darüber hinaus sollen gesundheits- und nicht-gesundheitsbezogene offene Datenquellen erschlossen werden, die die Überwachung und Bewertung von lokalen Infektionsereignissen unterstützen.

Ein vielversprechendes Hilfsmittel dafür ist die Telekommunikationsinfrastruktur, die in der Zielregion insbesondere im Mobilfunkbereich in den letzten Jahren rasant gewachsen ist. Über ein mobilfunkbasiertes System sollen medizinische Erstkontakte, wie Apotheken oder medizinische Fachkräfte in Gemeinden miteinander vernetzt und in der Krankheitserkennung und -versorgung unterstützt werden. Die dabei gesammelten Informationen über Symptome und Ursachen der Erkrankungen können so in Echtzeit aufbereitet und über einen digitalen Datentransfer gebündelt werden. Dabei hat der Datenschutz oberste Priorität. Mit dem Grundsatz „So viele Informationen wie nötig und so wenige wie möglich“ soll das Bewusstsein für den Datenschutz in der Region geschärft und die Akzeptanz für solche Projekte erhöht werden.

Über den mobilfunkbasierten Ansatz hinaus verknüpft das Forschungsteam Informationen zu Infektionskrankheiten mit relevanten Kontextdaten der betroffenen Region. So können zum Beispiel bestimmte Umweltereignisse und demographische Merkmale genaueren Aufschluss über die Ursachen einer Erkrankung geben.

Schematische Darstellung der Umweltereignisse

Diese Komponenten zum Sammeln, Verknüpfen und Bewerten von Informationen werden im Einzelnen und in ihrer Zusammenführung untersucht, um neue Ansätze datengesteuerter Gesundheitsinformations- und Überwachungssysteme zur Früherkennung von Infektionsereignissen zu entwickeln.

Juliane Bönecke

Um solche relevanten Merkmale lokal zu identifizieren, führt das ESIDA-Team eine epidemiologische Bestandsaufnahme vor Ort durch und stützt sich auf wissenschaftliche Literaturrecherchen. Anhand dieser Wissensquellen tragen die Forschenden Faktoren zusammen, die regional auftretende Infektionskrankheiten beeinflussen. Zum Beispiel können bestimmte Umweltereignisse oder demographische Merkmale dafür sorgen, dass Infektionen häufiger auftreten oder sich schneller verbreiten. Hierbei fokussiert sich ESIDA zunächst auf eine bestimmte Anzahl von „Modellkrankheiten“. Mithilfe ausgewählter Kriterien werden die gesammelten Daten zu Krankheit und Kontext automatisiert bewertet, um medizinische Akteure dabei zu unterstützen, Krankheitssymptome zu beurteilen und lokale Infektionsgeschehen generell besser einschätzen zu können. Falls sich der Verdacht eines Infektionsausbruchs erhärtet, soll es den Akteuren vor Ort ermöglicht werden, die Informationen auch überregional zu nutzen, sodass Ärztinnen und Ärzte sowie politische Behörden in einem frühen Stadium entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten können.

Vernetzung auf vielen Ebenen

Für ESIDA vernetzen sich das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, die Universität Hamburg und das Universitäts-Klinikum Hamburg-Eppendorf mit der Nelson Mandela African Institution of Science and Technology und der East African Community (EAC). Gemeinsam bauen sie ein interdisziplinäres Forschungs- und Bildungsnetzwerk auf und tauschen Erkenntnisse über Krankheitsmerkmale und Möglichkeiten des digitalen Datentransfers aus. Dabei spielt die zwischenstaatliche Organisation EAC eine entscheidende Rolle. Für eine erste Demonstration beschränkt sich das Forschungsteam zunächst auf die Region Tansania. Nach erfolgreichem Abschluss sollen über die EAC wichtige Kontakte zu Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern in weiteren Ländern Subsahara-Afrikas hergestellt werden, um einen Transfer der ESIDA-Erkenntnisse zu ermöglichen.

Neben der länderübergreifenden Vernetzung führt ESIDA auch interdisziplinär agierende Akteure zusammen. Dabei eint das Vorhaben die Fachbereiche Epidemiologie, klinische Forschung, Biosicherheit, Public Health, Umweltwissenschaften sowie Computer- und Datenwissenschaften.

„Die Zusammenarbeit mit den Partnerinnen und Partnern vor Ort bietet insbesondere in dieser Zeit eine große Chance, gemeinsam aus der aktuellen Pandemie zu lernen und disziplinübergreifend zu arbeiten. Denn gerade jetzt wird noch einmal bewusst, wie stark Mensch, Tier und Umwelt sich gegenseitig beeinflussen und welche Rolle dies in der Entstehung von Infektionsausbrüchen spielt. Für uns ist es wünschenswert, dass dieses Bewusstsein erhalten bleibt, denn es ist eine Frage der Zeit, wann die nächste Epidemie ausbrechen wird“.

Juliane Bönecke stellvertretend für das Koordinationsteam des ESIDA-Projekts

Hämorrhagische Fiebererkrankungen im Fokus von ESIDA

Das Forschungsteam nutzt zunächst sogenannte „Modellkrankheiten“ für die Entwicklung des ESIDA-Konzepts. Als solche werden Krankheiten eingestuft, die in den untersuchten Regionen künftig vermehrt zu Infektionsausbrüchen führen könnten, aber international gut erforscht sind. Vor allem hämorrhagische Fiebererkrankungen sollen bei der Entwicklung des Informations- und Überwachungssystems berücksichtigt werden, darunter das Dengue-Fieber, welches aufgrund zunehmender Urbanisierung und klimatischer Veränderungen für die Bevölkerungsgesundheit in Subsahara-Afrika relevant ist. Darüber hinaus orientieren sich die Forschenden an Krankheiten, die mit ausreichenden und gut zugänglichen Daten unterlegt sind, damit das entwickelte System zu einem späteren Zeitpunkt validiert werden kann.